Scharfrichter im Mittelalter – Der gefürchtete, unterschätzte und unverzichtbare Beruf
Scharfrichter im Mittelalter – Der gefürchtete, unterschätzte und unverzichtbare Beruf
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Scharfrichter im Mittelalter – Der gefürchtete, unterschätzte und unverzichtbare Beruf

Der Beruf des Scharfrichters, im Volksmund auch „Henker“, „Nachrichter“, „Frevlermeister“ oder „Meister Hans“ genannt, war im Mittelalter einer der gefürchtetsten, aber auch notwendigsten Berufe innerhalb der Rechtsprechung. Während wir heute beim Reenactment, im LARP, bei historischen Märkten oder Mittelalter-Festivals vor allem romantisierte Gewandungen, Rüstungen, Schaukampfwaffen oder Artikel fürs Lagerleben erleben, war das wahre Mittelalter geprägt von harter Realität: Pest, Hunger, brutale Gesetze und eine Rechtsprechung, die ohne Scharfrichter kaum funktionierte.

Dieser Blogartikel beleuchtet die Geschichte der Scharfrichter, ihren sozialen Stand, ihre Verdienste, Tätigkeiten, Nebenberufe und welche Fähigkeiten ein mittelalterlicher Henker besitzen musste. Besonders spannend wird es am Beispiel eines der berühmtesten deutschen Scharfrichter: Frantz Schmidt aus Nürnberg, dessen Leben gut dokumentiert ist und tiefe Einblicke in das Handwerk der Hinrichtung und Heilkunst gibt.


1. Die gesellschaftliche Stellung des Scharfrichters – geächtet und doch unentbehrlich

Der Scharfrichter lebte zwischen zwei Welten.
Einerseits war er ein Beamter der Stadt, ein offizieller Ausführender der gesetzlich festgelegten Strafen. Andererseits gehörte er zu den "unehrlichen Berufen", ähnlich wie Abdecker, Totengräber oder Hurenwirte.

Der Grund für die Ächtung:
Man glaubte, dass der Umgang mit Blut, Leichen, „sündigen Körpern“ und der Nähe zum Tod eine Art spirituelle Unreinheit erzeugte. Die Familie des Henkers war ebenfalls gebrandmarkt – Kinder eines Scharfrichters durften oft keine ehrbaren Berufe erlernen oder konnten kaum heiraten.

Doch paradoxerweise war der Scharfrichter zugleich hoch angesehen, wenn er sein Handwerk sauber, qualifiziert und „ehrenhaft“ ausübte. Städte wie Nürnberg, Bamberg oder Würzburg bemühten sich sogar, die besten Scharfrichter anzuwerben, da eine mangelhafte Hinrichtung negative öffentliche Wirkung hatte.


2. Wie wurde man Scharfrichter? – Erbe, Zwang oder seltene Berufung

Die Wege in diesen Beruf waren nicht freiwillig – die wenigsten entschieden sich bewusst dafür.

2.1 Vererbung des Berufs

Häufig wurde der Beruf innerhalb der Familie weitergegeben. Ein Sohn hatte wegen der sozialen Ächtung kaum Chancen außerhalb dieses Systems.

2.2 Strafe oder Zwang

Einige Henker wurden aus verurteilten Straftätern rekrutiert, die im Gegenzug ihr Leben behielten. Wer die „Unehrlichkeit“ einmal angenommen hatte, war an den Beruf gebunden – ein Entkommen kaum möglich.

2.3 Seltene Ausnahmefälle

Einige wenige traten den Beruf bewusst an – wegen guter Bezahlung oder dem Wunsch nach sozialem Aufstieg.
Ein solches Beispiel ist Frantz Schmidt, der später sogar aus der Ächtung entlassen wurde.


3. Was verdiente ein Scharfrichter im Mittelalter?

Der Beruf zahlte sich finanziell aus:

  • Gehalt der Stadt

  • Gebühren pro Hinrichtung, Auspeitschung oder Körperstrafe

  • Anteil am Besitz des Hingerichteten

  • Einnahmen aus Nebenberufen (dazu gleich mehr)

  • Zuwendungen für besondere Aufgaben

Ein fähiger Scharfrichter konnte den Lebensstandard eines Handwerksmeisters erreichen.


4. Aufgaben eines Scharfrichters – weit mehr als Henken

Der Begriff „Henker“ wird dem Berufsbild kaum gerecht. Ein Scharfrichter hatte eine enorme Bandbreite an Tätigkeiten:

4.1 Vollstreckung der Urteile

Dazu gehörten u. a.:

  • Enthauptungen mit dem Richtschwert

  • Hängen

  • Rädern

  • Verbrennen

  • Ertränken

  • Vierteilen

  • Pfählen (selten, aber historisch belegt)

  • Öffentliche Auspeitschungen

4.2 Folter

Scharfrichter führten auch die gerichtliche Folter durch, um Geständnisse zu erpressen – ein regulärer Bestandteil der Rechtsordnung.

4.3 Reinigung der Stadt

Dazu gehörte:

  • Ausheben von Leichen aus Verbrechergräbern

  • Entfernen von Abfällen

  • Töten von streunenden Tieren

  • Abdeckertätigkeiten

4.4 Heilkunde – die paradoxe Doppelrolle

Viele Scharfrichter waren hervorragende Heiler, Wundärzte und Knochenrichter.
Warum?

Weil sie:

  • anatomische Kenntnisse besaßen

  • chirurgische Handgriffe beherrschten

  • Kräuter, Salben und Heilmethoden kannten

Frantz Schmidt behandelte über 15.000 Patienten – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er gleichzeitig über 300 Todesurteile vollstreckte.


Galgen vor Stadt bei Sonnenaufgang

5. Nebenberufe – ein lukrativer Schattenmarkt

Scharfrichter durften Tätigkeiten ausführen, die anderen verwehrt waren. Dadurch entstanden interessante Einnahmequellen:

  • Verkauf von menschlichem Fett ("Henkersfett") als Heilmittel

  • Handel mit Knochen und Haut

  • Herstellung von Salben, Kräutermischungen, Tinkturen

  • Tierhäute, Leder und Felle aus Abdeckertätigkeiten

  • Heilbehandlungen

  • Zahnziehen

Im medizinischen Bereich waren Scharfrichter überraschend beliebt – oft waren sie die einzigen, die wirklich praktische Erfahrung hatten.


6. Gesetzgebung und Rechtsprechung – Warum der Henker so wichtig war

Das mittelalterliche Strafsystem bestand aus klar kodifizierten Strafen, die in Land- und Stadtgerichten festgelegt wurden.
Ohne Scharfrichter war die Rechtspflege nicht durchsetzbar.

Die wichtigsten Rechtsgrundlagen:

  • Carolina (1532) – das erste gesamtdeutsche Strafgesetzbuch

  • Stadtrechte – Nürnberg, Augsburg, München, Regensburg

  • Landrechte und Weistümer

Darin war detailliert geregelt:

  • welche Strafen für welche Vergehen vorgesehen waren

  • welche Todesart angemessen war

  • wie ein Gerichtsurteil abzulaufen hatte

  • welche Pflichten der Scharfrichter hatte


7. Berühmte Scharfrichter in Deutschland

7.1 Frantz Schmidt (1555–1634), Nürnberg

Der wohl berühmteste Scharfrichter Deutschlands.
Er hinterließ ein detailliertes Tagebuch über 45 Berufsjahre.

Er vollstreckte:

  • 394 Todesurteile

  • ca. 700 körperliche Strafen

  • behandelte über 15.000 Patienten

7.2 Kuisl-Dynastie (Kaufbeuren)

Diese Familie wurde durch die Romanreihe „Die Henkerstochter“ bekannt.
Die historische Familie war tatsächlich über Generationen Henker, Abdecker und Heiler.

7.3 Meister Hans

In vielen süddeutschen Städten wurde dieser Name für städtische Henker verwendet – eine Art Sammelbegriff für „den Scharfrichter“.

7.4 Meister Frantz in Bamberg

Zeitgenosse von Frantz Schmidt, ebenfalls für saubere, kunstvolle Enthauptungen bekannt.


8. Die Geschichte von Frantz Schmidt – Ein Leben zwischen Schwert und Heilkunst

Um den Alltag eines Henkers wirklich zu verstehen, lohnt ein Blick in das Leben von Frantz Schmidt, dessen persönliche Aufzeichnungen eine einzigartige Quelle darstellen.

8.1 Ein Berufsschicksal, das mit einer Ungerechtigkeit begann

Frantz Schmidt wurde 1555 in Hof geboren. Sein Vater Heinrich Schmidt wurde durch ein politisches Intrigenspiel unfreiwillig zum Henker gemacht. Obwohl unschuldig, musste die Familie die „Unehrlichkeit“ tragen – Kinder eingeschlossen.

Frantz wurde dadurch in den Beruf hineingeboren.

8.2 Die Ausbildung – zwischen Disziplin und Präzision

Schon als Kind sah er seinen Vater:

  • Knochen richten

  • Aderlass durchführen

  • Hinrichtungswerkzeuge pflegen

  • Folterinstrumente einsetzen

  • Wunden behandeln

Er lernte:

  • Anatomie

  • Schnitttechniken

  • Kräuterkunde

  • die Kunst der schnellen, sauberen Enthauptung

Diese Mischung aus Heilkunde und Hinrichtungsfertigkeit war für Scharfrichter typisch.

8.3 Sein Dienst für die Stadt Nürnberg

1581 wurde Frantz Schmidt Scharfrichter der Reichsstadt Nürnberg, einer der bedeutendsten Städte Deutschlands.
Die Stadt legte Wert auf:

  • professionalisierte Rechtsprechung

  • saubere Hinrichtungen

  • eine klare Trennung zwischen Strafe und Grausamkeit

Schmidt erfüllte diese Erwartungen.

Er führte Hunderte Enthauptungen durch – viele davon kunstvoll sauber.
Seine Tagebucheinträge zeigen einen Mann, der bemüht war, seine Pflicht mit Würde und Präzision zu erfüllen.

8.4 Der Heiler im Gewand des Henkers

Neben seiner Tätigkeit als Scharfrichter behandelte Schmidt Patienten aus allen Schichten:

  • Knochenbrüche

  • Verrenkungen

  • Geschwüre

  • Infektionen

  • offene Wunden

  • Geschlechtskrankheiten

Viele Patienten suchten ihn freiwillig auf – weil er erfolgreicher war als so mancher „offizieller“ Arzt.

8.5 Der Kampf um Ehre und Anerkennung

Nach seiner Pensionierung erreichte Frantz Schmidt etwas Einzigartiges:
Er wurde von der Ächtung befreit.
Der Kaiser verlieh ihm ein Dokument, das ihm und seiner Familie die Ehre zurückgab.

Damit endete eine jahrhundertelange Kette von sozialer Stigmatisierung.


9. Werkzeuge des Scharfrichters – Zwischen Präzision und Schrecken

Für historisch Interessierte, Reenactor und Sammler ist die Ausrüstung eines Henkers besonders spannend.

Typische Werkzeuge:

  • Richtschwert (ohne Spitze, zweischneidig)

  • Henkerbeil

  • Galgenstricke

  • Fesseln & Eisen

  • Folterinstrumente: Streckbank, Daumenschrauben, Spanische Stiefel

  • Chirurgische Werkzeuge

  • medizinische Salben & Kräutersäckchen

Zahlreiche Reenactment-Gruppen setzen auf detailgetreue Nachbildungen historischer Ausrüstung – und genau diese hochwertigen Repliken finden Sie ebenfalls in unserem Sortiment: von Schaukampfwaffen über Rüstungen bis hin zu Lagerleben-Artikeln und Mittelalter-Zubehör.


10. Fazit – Der Scharfrichter: Eine Figur voller Widersprüche

Der mittelalterliche Scharfrichter war:

  • gefürchtet

  • geächtet

  • unersetzlich

  • oft hochkompetent

Er vollstreckte Urteile, heilte Kranke, führte chirurgische Eingriffe durch und bewegte sich zwischen „Unberührbarkeit“ und „Unerlässlichkeit“.

Die Geschichte von Frantz Schmidt zeigt, wie komplex und ambivalent dieser Beruf wirklich war – weit entfernt von den Klischees, die wir heute aus Filmen, Serien oder Rollenspielen kennen.

Für Mittelalter-Fans, Reenactor, Living-History-Darsteller oder Besucher historischer Märkte bietet das Leben eines Scharfrichters eine faszinierende Mischung aus Geschichte, Handwerk, Medizin und sozialer Realität – eine düstere, aber faszinierende Seite unserer Vergangenheit.


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